Peter Boersma wurde kürzlich in den Vorstand des Instituts für Informationsarchitektur gewählt. Er ist in der IA und UX Szene seit langem gut bekannt und obwohl er sehr beschäftigt ist, war er so nett die folgenden Fragen zu beantworten.
Interview in English
1. Peter, du bist Senior Interaction Designer bei der niederländischen full-service Internetagentur Info.nl. Du arbeitest seit 1995 auf dem Gebiet der user experience (UX), du sprichst auf UX Konferenzen und bist der Gastgeber der berüchtigten Amsterdam UX Cocktail Hours. Wenn du zurück blickst, was waren die wertvollsten Lektionen die du beim Ausüben von UXD und IA gelernt hast?
Ich habe zwei wichtige Lektionen gelernt:
Lektion 1: Schule bereitet einen nicht auf die Arbeit mit Kunden vor. An meiner Universität habe ich 60 Vorlesungen besucht und nur zwei halfen mir in einem Team zu funktionieren und nur eine davon beinhaltete das Ablesen von Kundenanforderungen. In der realen Welt der Kundenprojekte muss ich Fähigkeiten anwenden, die ich niemals in der Schule gelernt habe. Fähigkeiten Workshops zu moderieren sind die wichtigsten, und ich wünschte diese würden an Schulen gelehrt. Als Designer muss man fähig sein die richtigen Fragen zu Anforderungen zu stellen, zu fragen welche Designausrichtung richtig wäre, Entwürfe zu präsentieren, Entscheidungen zu verteidigen, andere Lösungen zu beurteilen, Kompromisse zu verhandeln, Aufgaben zu verteilen und vieles, vieles mehr.
Lektion 2: Jeder profitiert von einer Besprechung. Ich habe Besprechungsabläufe als Beispiel für Prozess-Muster bei meiner Präsentation auf der EuroIA 2007 benutzt. Ich wählte den Besprechungsprozess als Beispiel eines Prozess-Musters in meiner Präsentation bei der EuroIA teilweise weil ich glaube, dass Besprechungen jeder Art sehr wichtig sind. Viele Schritte gehen mit einer umfassenden Besprechung einher: die Besprechung vorbereiten, Teilnehmer einladen, Material verteilen, Durchführung der Projektbesprechung, technische Besprechung, Besprechung mit dem Team oder dem Kunden, Verteilen von Besprechungsnotizen und aufbereitetes Material erneut verbreiten. Der wichtigste Aspekt ist aber, dass der Ersteller des Arbeitsmaterials hört was Andere in seiner oder ihrer Arbeit sehen, was fehlt oder unklar ist und hoffentlich, wie das geändert werden könnte. Und der zweitwichtigste Aspekt ist, dass ein Anderer (aber hoffentlich mehr als Einer) im Team erfährt was man getan hat und was der Stand der Dinge ist. Ich habe gelernt, dass beide Aspekte ausschlaggebend sind um konsistent gute Arbeit abzuliefern.
2. UX ist, so wie ich es verstehe, mit dem Gebiet der Ergonomie verwandt (welches als Disziplin im 19. Jahrhundert in Erscheinung trat). Ich glaube, dass dieInformationsarchitektur andererseits sich mehr an das form follows function Prinzip anlehnt, von welchem Loius Sullivan sprach. Wie würdest du die Beziehung zwischen UX und IA beschreiben?
Meine Definition von Ergonomie ist die, dass ein Designer ein Artefakt kreiert oder so anpasst (auf Wissen über den Menschen basierend), dass sich ein menschlicher Nutzer nicht selber anpassen muss. Das kann auf alles angewandt werden, von schwehren Maschinen bis hin zu Informations-Arbeitsräumen. Als ich Computerwissenschaften mit Studien der Ergonomie zur Informations Ergonomie vereinte, studierte ich den menschlichen Körper und menschlichen Geist, als auch die Frage wie Computertechnologie Leuten und Organisationen helfen kann, bessere Nutzer und Anbieter von Informationen zu werden.Informationsarchitekten, vor allem diejenigen die Informationsstrukturen für Endanwender gestalten, können bessere IAs werden wenn sie sich in Nutzer hineinversetzen und über deren Möglichkeiten und Begrenzungen bescheid wissen. Wenn sie alle Aspekte bedenken die den Gebrauch der Information betreffen die sie gerade strukturieren, berücksichtigen sie Menschen und ihre Bedürfnisse, Wünsche, Eigenheiten und Kuriositäten.
User Experience Profis definieren Situationen bei denen Endnutzer Erfahrungen haben können. Auf der höchsten Ebene von Design muss der Designer alle möglichen Dinge über den Nutzer wissen: was sind seine Ziele und Erwartungen und warum, was für sonstige Erfahrungen haben Nutzer mit einer Marke, mit wem unterhalten sie sich und welche Wörter benutzen sie, und so weiter. Wie User Information nutzen die eine Firma anbietet ist nur ein Teil des Problems, aber es macht Sinn jemanden mit Erfahrung in Ergonomie im user experience Team zu haben um solche Aspekte ins Auge zu fassen.
3. Eric Reiss und Du habt 2004 das T-Modell der Informationsarchitektur entworfen , welches später das Schulter-Modell wurde. Könntest du ein wenig erläutern um was es bei dem Modell geht und wie da zur Zeit der Stand der Dinge ist?
In 2004 war Eric gerade Teil der Führungsmannschaft des Instituts für Informationsarchitektur geworden (damals noch Aifia genannt) und als wir nach einer Cocktail Hour gemeinsam zu Abend aßen wollte er wissen, was ich dachte, dass die Organisation für ihre Mitglieder tun sollte. Im weiteren Verlauf fing ich an meine Gedanken zu dem was IA bedeutet und wie es meiner Meinung nach mit anderen Bereichen in Relation steht nieder zu kritzeln. Diese Skizze, auf der Rückseite eines Bierdeckels, wurde später das T-Modell der User Experience.
Das Modell beschreibt prinzipiell wie jeder Bereich unter dem UX Deckmantel seine eigenen Fachgebiete hat, seine „tiefen“ Themen über die sonst kein anderer bescheid weiß. Bei IA sind dies beispielsweise Suche, Metadaten und Kontrolliertes Vokabular (was der Grund ist, warum unsere Fachrichtung Bibliothekaren so viel schuldet). Zusätzlich zu diesen tiefen Fachthemen hat jeder Bereich Themen die auch in einem oder mehreren anderen Fachgebieten gefunden werden können. Für IA wiederum könnte das Content, Navigation und Bezeichnung sein (was wir mit Menschen wie Werbetextern, Kommunikationsexperten und Interaction Designern teilen). Und, wie ich später feststellte, gibt es noch eine dritte Ebene die sich mit dem Management von Fachleuten befasst, da geht es beispielsweise um Themen wie Return On Investment, IA Prozesse und der Einfluss von IAs auf eine Organisation.
Ab und an verweise ich oder andere in online Diskussionen auf das Modell. Und ich habe es als Poster bei der EuroIA in Brüssel präsentiert. Aber das wäre dann auch alles. Ich denke es ist abgeschlossen :-)
4. Welche IA Dokumente und Methoden haben sich deiner Meinung nach am meisten bewährt? Könntest du bitte eine einfache, typische IA Arbeitsweise umreißen?
„am meisten bewährt“? Wie in: vom Kunden gut geheißen? In diesem Fall: das endgültige Design! :-)
Aber ich nehme an, du meinst die bekanntesten Deliverables, oder diejenigen welche von Designern als typische IA Produkte angesehen werden, und in diesem Fall befürchte ich ist es die Sitemap. Ich sage befürchte ich, weil die Sitemap im Arbeitsverlauf zu früh erstellt wird, was auf eine gewisse Weise festlegt welche Arten von Seiten erstellt werden und wie die Hauptnavigation genau sein wird. Ich würde viel lieber warten bis die gesamte Funktionalität gestaltet worden ist (möglicherweise von auf Interaction Design spezialisierten Leuten) und die Nutzerführung designed worden ist. Dannach könnten Designer festlegen welche Funktionalitäten mit welchen Seitentypen am besten zusammenpassen und wie diese durch unterschiedliche Navigationen am besten verknüpft werden könnten.
Ich würde liebend gerne sehen, dass IAs in Projekten folgendes liefern: User Experience Anforderungen, Inhaltsanforderungen, eine sehr grobe Content Inventory, eine Funktionalitäts-Zusammenstellung (alles erhalten durch Untersuchung und Analyse Workshops), konzeptionelle IA Elemente des Systems wie Inhalts- und Navigationsprinzipien (erstellt zusammen mit dem UX Team), eine neue Content Inventory, Wireframes, Navigationsgestaltung und Regeln für Nutzerbewegungen, und dann zum Schluss eine Sitemap (alles dem Kunden präsentiert und mit ihm besprochen). Oh, und IAs sollten bei der Vorbereitung und Durchführung von Usability Tests mit Papier- und/oder frühen halbfunktionalen Prototypen helfen.
5. Findest du es schwierig Kunden IA Dienste zu verkaufen die mehr auf ihre Geschäftsziele als auf die Bedürfnisse des Nutzers fokusiert sind? Was ist ein gutes Argument um Informationsarchitektur in den gesamten Prozess des Webseitenbauens zu integrieren?
Bei ersten Treffen mit Vertretern des Kunden sage ich ihnen immer, dass ich die Rechte des Nutzers verteidigen werde, dass ich immer an den User denke. Es ist in Ordnung, dass sie nur an ihr Geschäft denken, das ist ihr Job und ich werde sie alles darüber fragen. Aber ich werde es immer in das übersetzen was Nutzer von ihrer Firma benötigen. Sie scheinen für diesen Ansatz immer empfänglich zu sein, solange sie es nicht selbst machen müssen :-)
Was die Integration von IA in den übrigen Gestaltungsprozess angeht: Ich sage manchmal, dass die Definition von IA ist, Leuten zu helfen zu finden was sie benötigen, dorthin zu kommen und wieder heraus zu gelangen. Was dazwischen passiert ist die Arbeit von Interaction Designern. Und natürlich ist die ganze Idee von user experience, dass alle Elemente zusammen arbeiten, vom Geschäftsmodell, via Kommunikationsdesign, visuellem Design, Interaction Design, Textern, IA, Software Design, Lehrgängen, Verpackung, Markenbildung, und die Liste geht weiter und weiter!
Es gibt nur sehr, sehr wenig Projekte wo ein IA all die Arbeit machen kann. Wir müssen mit anderen User Experience Fachleuten zusammenarbeiten!