11. August 2007

5 Questions to Eric Reiss

Anlässlich der nahenden EuroIA 2007, habe ich Eric Reiss folgende 5 Fragen gestellt:

(Interview in english)

1. Eric, du bist einer der Mitbegründer von FatDUX, einer User-Experience Design Agentur in Kopenhagen. So wie letztes Jahr in Berlin, wird auch diese EuroIA Konferenz in Barcelona von FatDUX mitgesponsort. Also, warum fliegen wir eigentlich alle nach Barcelona und nicht nach Kopenhagen?

Jan, zunächst einmal möchte ich mich bei dir bedanken, dass du mich zu deinem Strudel (?) eingeladen hast. Euer Berliner IA Gruppe kann man zu den vielen gehaltvollen, lokalen Initiativen nur gratulieren.

Warum fliegen wir also nach Barcelona anstatt nach Kopenhagen? Nun, es gibt eine Reihe von Gründen. Erstens wollte das Konferenz Komitee mehr unternehmen um den südländischen Teil Europas in die Konferenz einzubeziehen. Wir hatten letztes Jahr in Berlin hervorragende Präsentationen von italienischen und spanischen IAs und auf diesem Impuls möchten wir aufbauen. Dieses Jahr hoffen wir, dass wir auch IAs aus Griechenland, Portugal und Frankreich aktiver einbeziehen können. Dies sind, von einem IT Standpunkt aus betrachtet, ziemlich erwachsene Märkte, die aber immer noch recht abgeschottet sind in Bezug auf europaweites networking. Der Zweck der EuroIA ist es ja gerade dabei zu helfen internationale Gemeinschaften aufzubauen.

Und was Kopenhagen anbetrifft gibt es dort bereits eine Menge Konferenzen. Wir dachten nicht, dass noch eine weiter benötigt würde. Wir haben beispielsweise Reboot und Mark Hursts EuroGEL. Und es gibt noch eine Reihe weiterer, darunter kommerzielle Veranstaltungen wie die Nielsen-Norman Usability Vorträge und die IntraTeam Intranet Konferenz. Und auch FatDUX arbeitet an lokalen Veranstaltungen.

Aber wer weiß? Vielleicht gehts zur nächsten EuroIA wieder zurück Richtung Norden.

Was FatDUX als Sponsor anbelangt, so unterstützen wir eine Menge Zeugs welches uns in Dänemark nicht von direktem Vorteil ist. Zusätzlich zur EuroIA halfen wir auch die UPA Konferenz in Austin, Texas zu sponsoren und wir werden auch ein Sponsor der OZ in Sydney, Australien sein. Weil wir aber Kunden in den Staaten, Deutschland und sonst wo haben, sehen wir Dänemark nicht als unseren Heimat-Markt an. Alles in allem sind wir eine ziemlich internationale Organisation – und wir veranstalten eine Menge Telefonkonferenzen mitten in der Nacht um Kunden und Partnern in den unterschiedlichsten Zeitzonen entgegen zu kommen.

Anfang des Jahres in Las Vegas haben wir sechs Anmeldungen für Studenten gesponsort und wir werden etwas ähnliches auch in Barcelona tun. Wir glauben stark an die Bedeutung guter Ausbildung und investieren eine Menge Zeit und Geld um Ausbildungsinitiativen zu schaffen und zu unterstützen. Und wir trinken gerne, also werden wir auch dieses Jahr die EuroIA Cocktail Hour unterstützen – zusammen mit User Intelligence, unseren guten Freunden aus Amsterdam.


2. Das Thema der EuroIA 2007 lautet Translating Information Architecture (Informationsarchitektur übersetzen). Mit was für Übersetzungen haben es Informationsarchitekten täglich zu tun?

Der Titel der diesjährigen Veranstaltung hat zwei Bedeutungen. Zunächst ist da der offensichtliche Punkt des Erfahrungsaustausches zwischen Menschen die nicht Englisch als Muttersprache haben. Es ist also buchstäblich eine Frage der Übersetzung von Konzepten. Zweitens wissen wir auch, dass Konzepte an lokale Märkte angepasst werden müssen - einige Märkte sind erwachsen, andere lernen gerade den Wert des Internets und wie wichtig IA ist. Auch das ist eine Art der Übersetzung.

Tatsächlich sind diese beiden Interpretationen eng verwandt. Wenn man die Internet-Nutzung und führende Länder Europas betrachtet, findet man oft eine Korrelation zwischen den Ländern denen das Englische vertraut ist und dem Grad der IA-Reife. Allgemein gesagt, finden sich in Ländern in denen Kinofilme und Fernsehprogramme mit Untertiteln versehen anstatt übersetzt werden und in denen das Englische früh in der Schule eingeführt wird, mehr aktive Internetgemeinschaften. Mir ist klar, dass das eine starke Verallgemeinerung ist, aber eine Verbindung lässt sich nicht leugnen.

Leider ist die meiste IA-Litertur in Englisch (mit ein paar bemerkenswerten Ausnahmen). Die meisten Konferenzen sind in Englisch (aber das ändert sich gerade – dieses Jahr wird es sowohl eine Deutsche- als auch eine Italienische IA-Konferenz geben). Die meisten Diskussionslisten sind in Englisch und eine überraschende Anzahl an IA-Blogs sind in Englisch.

Es ist also unsere Aufgabe bei der EuroIA dem Einzelnen zu helfen vertrauter im Umgang mit Kollegen aus anderen Ländern zu werden und ihnen zu helfen Gemeinsamkeiten zu finden. Und in denjenigen Ländern, die aufgrund von Politik und Sprache isoliert waren - Ungarn und Polen, um nur zwei zu nennen - ist es unsere Aufgabe diesen IAs etablierte Gedanken vorzustellen und sie wissen zu lassen, dass gute Ideen immer wichtiger sind als gute Aussprache.

Ein typisches Beispiel: vor einigen Tagen hatte ich eine großartige Unterhaltung mit einem Kollegen aus Stetin, Polen. Er sprach kein Englisch und ich spreche kein Polnisch. Wir fanden aber heraus, dass wir beide ein wenig Schwedisch konnten - dies wurde also unsere gemeinsame Sprache. Wir konnten uns wunderbar austauschen, unabhängig von unserem begrenzten Vokabular.

Wie du weisst, hat das Institut für Informationsarchitektur seine Website gerelauncht, was auch Übersetzungen wichtiger IA-verwandter Artikel beinhaltet. Wir arbeiten ebenfalls an der Erstellung eines mehrsprachigen Glossars. Leider ist die Dame, welche die Glossarinitiative koordiniert hatte, sehr krank geworden. Wir suchen darum nach Freiwilligen die diese wichtige Arbeit fortführen. Ich werde in Barcelona übrigens aktiv Leute anwerben.


3. Auf dem Gebiet der Genetik beschreibt „Translation" den Prozess in dem ein bestimmtes Botenmolekül das Konzept zur Proteinsynthese spezifiziert. Es ist ein sehr wichtiger Prozess. Für wie wichtig hältst du IA im Prozess der Website „Synthese"?

Nun, das ist eine Diskussion über Standards, nicht wahr? Oder sogar eine Frage der Definition. Ich persönlich kümmere mich nicht darum wie Leute „Informationsarchitektur" definieren, weil jede Definition unweigerlich die Arbeitssituation einer Person wieder spiegelt. Mit anderen Worten, ein IA in einem kleinen Projekt, der auch die Hauptperson was Inhalte angeht und vielleicht sogar der Programmierer oder Designer ist, hat einen ganz anderen Job als ein Thesaurus Entwickler in einer großen Firma. Die Leute verwechseln oft die Definition von IA mit einer Stellenbeschreibung. Es handelt sich hierbei aber um sehr unterschiedliche Dinge.

Wie lautet die Definition von „Mechaniker"? Wenn du Autos reparierst wird dein Job ein ziemlich anderer sein als wenn du Waschmaschinen reparierst. Beide Berufe erfordern aber wahrscheinlich Schlüssel und Schraubenzieher. Genau wie Peptide und Ribosomen in der Proteinsynthese, helfen unsere Werkzeuge – Personas, Use Cases, Card Sorting, Fokusgruppen usw. - eine einheitliche, hohe Qualität in Projekten zu erreichen. Die Werkzeuge sind unsere Aminosäuren und man kann sie in unzähligen Variationen zusammenfügen.

Innerhalb der letzten 10-15 Jahre haben wir viele Werkzeuge entwickelt, die nun weit verbreitet sind. Sie ermöglichen Synthesen über geografische, kulturelle und politische Grenzen hinweg – und von Projekt zu Projekt. Ich bin besonders stolz darauf, dass der Sieben As Prozess den ich damals im Jahr 2000 in meinem IA Buch beschrieben habe, wie auch das Web Dogma '06 das ich letztes Jahr in Vancouver vorgestellt habe, von so vielen angenommen worden ist. Besonders das Dogma ist nun in vielen Sprachen online verfügbar.


4. Informationsarchitektur ist eine sehr interdisziplinäre Disziplin. Beispielsweise der Kognitiven Wissenschaft sehr ähnlich, wo man Einflüsse aus Psychologie, Philosophie, Computerwissenschaften, Anthropologie und Linguistik findet. Als eine so durchmischte Wissenschaft, hat da Informationsarchitektur auch interne Herausforderungen?

Oh, absolut. Das ist auch, warum das Glossar Projekt so wichtig ist. Was ist die deutsche Übersetzung von „contextual enquiry"? Es gibt wahrscheinlich verschiedene Begriffe dafür. Und in Frankreich gibt es mindestens drei unterschiedliche Begriffe um „Informationsarchitekt" zu beschreiben. Ein Glossar hilft uns also auch einen gemeinsamen Nenner für die Entwicklung von IA in einzelnen Ländern zu erstellen. Ich beobachte solche spontanen Ereignisse öfter bei internationalen Konferenzen. Menschen mit ganz unterschiedlichen Berufsbezeichnungen sagen zueinander „Mensch, dass ist genau was ich auch mache."

Wie du schon sagst, IA ist sehr interdisziplinär. Sogar der Begriff „Konzept" kann sehr unterschiedliche Dinge bedeuten, abhängig davon wen man fragt. Eine Werbeagentur wird vom „Konzept" als einer große Idee sprechen, oft auch visuell. Ein Programmiere könnte annehmen „Konzept" beziehe sich auf concept-oriented programming. Und ein IA wird wahrscheinlich bei „Konzept" eher an die Funktionalität einer Seite als an ihre Gestaltung oder Programmierung denken.

Zu gegebener Zeit werden wir interne Definitionen klarstellen können. Nach Außen jedoch wird uns das glaube ich, nie gelingen. Immerhin wollen Gebäude-Architekten noch nicht einmal, dass wir das Wort „Architektur" benutzen, welches sich für sie auf eine ganz andere Disziplin bezieht.


5. Eric, du bist zur Zeit im Vorstand des Instituts für Informationsarchitektur. Du bist ebenfalls der Vorsitzende des EuroIA Konferenz Komitees und bist im Steuerungskomitee der 2007 IA Konferenz in Las Vegas. Betrachtet man Informationsarchitektur global, was sind so die heißen IA Themen zur Zeit?

Gute Frage, Jan. Tatsächlich hängen „heiße Themen" davon ab, ob man sie intern oder extern betrachtet.

Innerhalb der Gemeinschaft machen uns diejenigen IAs Sorgen, die sich nicht mehr als IA sehen. Sie sind jetzt „Consultants". Persönlich denke ich, dass es lebensnotwendig ist, dass die Verbindung zwischen strategischer und taktischer IA erhalten bleibt. Anderenfalls werden wir diesen Teil unserer Arbeit an die Business Analysten großer Consulting Häuser und Werbeagenturen abgeben. Das wäre vernichtend. Wenn wir taktisch arbeiten – Thesaurus- und Taxonomie Entwicklung, SEO usw. – benötigen wir mehr als nur verbale Unterstützung von obersten Führungskräften. Wir müssen sie dazu bringen das „warum" unserer Arbeit zu verstehen, nicht nur das „was". Das ist warum es so ungemein wichtig ist, dass IA bei Treffen auf höchster Ebene vertreten ist. Strategische IAs haben für gewöhnlich leichteren Zugang zu diesen Führungskräften, vor allem seit Webangebote letztendlich ein integraler Bestandteil von Businessplänen werden. Sie sind nicht mehr die unausgereiften Gehilfen im Cyberspace, ohne jegliche Verantwortung.

Auch nach außen hin müssen wir Menschen dazu bringen, zu verstehen wer wir sind und was wir machen. Während des Sommers 2007 hat das Magazin National Geographic einen Artikel über den Schwedischen Naturwissenschaftler Carl Linnaeus veröffentlicht. Er wurde der Welt erster „Informationsarchitekt" genannt, was zeigt, dass unser Berufszweig an Beachtung gewinnt. Wir haben aber noch einen weiten Weg vor uns.

Auf einem eher globalen Level müssen wir herausfinden wie man mit Sprachvielfalt umzugehen hat. Das ist besonders dann richtig, wenn man von Intranets spricht. Welche Information sollte in allen Sprachen verfügbar sein? Welche Information ist ausschließlich lokal? Welche lokale Information ist für benachbarte Märkte relevant (beispielsweise Spanien/Portugal oder eine Region wie Skandinavien), aber nicht für alle Märkte? Selbst mit ausgefeilten Veröffentlichungprozeduren – wie stellt man sicher, dass regionale Information angemessen in alle relevanten, lokalen Seiten eingearbeitet wird? Werden wir herausfinden wie das zu bewerkstelligen ist, ohne die Notwendigkeit alles ins Englische, der Lingua France des Web, übersetzen zu müssen? Hier sehen wir ein Geschäftsproblem welches auch ein Usability Problem ist, und bald zu einem IA Problem werden wird. Und wir werden schon recht bald eine Antwort finden müssen.

Vor einigen Jahren besuchte ich ein Nielsen-Norman Seminar in Amsterdam in welchem 14 internationale Intranets besprochen werden sollten. Wie sich herausstellte, waren 10 aus den Staaten, drei aus London und eines in Australien. Viele der Teilnehmer fragten nach Problemen der Mehrsprachigkeit, aber es gab keine unmittelbare Antwort. Stattdessen wurden wir ermuntert uns bei einer auf dieses Thema spezialisierten Mailingliste anzumelden. Das war im November 2004 – und ich habe nie wieder etwas davon gehört.

Das Problem besteht also nach wie vor – und es wird immer kritischer.

Und natürlich ist das wirklich heiße Thema Suchmaschinenoptimierung – welches gleichzeitig eines meiner unbeliebtesten Themen ist. Ich habe sie satt, die SEO Berater die mit schlechten Lösungen zu überhöhten Preisen hausieren.

Die Wahrheit ist, SEO ist keine schwarze Magie: man erschafft gute Inhalte, man fügt relevante Metadaten hinzu und man schreibt sauberen Code. Es ist harte Arbeit, aber da ist nichts mysteriöses dran.

Und die Erfolgsgeschichten sind nicht immer fröhlich.

Wir hatten einen hardcore business-to-business Kunden der davon überzeugt war, dass ihre Firma nicht gedeihen würde, bis sie nicht wenigstens 1000 Hits pro Tag hätten. Sogar nachdem sie den Unterschied zwischen „Hits" und „User Sessions" verstanden hatten, wollte man immer noch viel Traffic haben.

Ich fragte sie was sie tun würden, wenn sie nur zwei ernsthafte Ausschreibungen pro Monat hätten. Weil sie in einer unglaublich spezialisierten Industriebranche waren, würde eine vernünftige Antwort auf solch eine Frage fast eine Woche benötigen – und jedes Mal waren mehrere erfahrene Mitarbeiter involviert. Daher stellte unser Kunde fest, dass sie gar nicht die Mitarbeiterzahl hatten um mehr als eine ernsthafte Ausschreibung pro Monat zu beantworten. Also war die nächste nahe liegende Frage, warum sie glaubten, so viele Besucher auf der Seite zu benötigen? Nach langer Diskussion wurde es uns erlaubt sehr spezifische Metadaten zu erstellen, die buchstäblich „versehentliche" Besucher eliminierten.

Und die Konversionsrate verbesserte sich. Spürbar.

Innerhalb eines Monats fingen sie an gehaltvollere Besuche auf der Seite zu registrieren – vielleicht 100 pro Woche – alle von speziell an ihrer Dienstleistung interessierten Unternehmen. Ich nehme an, dass unsere Arbeit erfolgreich gewesen sein muss – als ich ihre Seite letzte Woche kontrollierte, hatten sie die meisten Metadaten wieder aus dem Quelltext herausgenommen.

In ein paar Monaten (oder einigen Google Indexierungen) wird ihre Konversionsrate wieder zurück auf Null sein. Ich frage mich, wer dafür verantwortlich gemacht werden wird. Der törichte Webmaster oder wir.

Ich hoffe, dass irgendwann die Vernunft einkehrt und unsere Kunden schlauer werden. Aber noch gibt es kein Licht am Ende des Tunnels...noch nicht. Wir haben noch sehr viel Arbeit zu erledigen.

Bis es soweit ist, Jan, danke noch mal für die Möglichkeit meine Ansichten mit dir und deinen Kollegen in Deutschland teilen zu können. Grüße aus Kopenhagen. Véale en Barcelona!